Montag, 31. März 2008

Gute Mine zum boesen Spiel

Samstag, 22. Maerz
Wir stehen um sieben Uhr auf. Duschen macht jetzt keinen Sinn, da wir das Minenabenteuer vor uns haben, waehrend dem wir mit Sicherheit das eine oder andere Staeubchen abbekommen werden.
Um halb acht Uhr hat Koala-Tours bereits geoeffnet und wir buchen die Tour fuer 8.15 Uhr. Dann setzen wir uns fuer´s Fruehstueck ins benachbarte Cafe. Ziemlich puenktlich geht die Tour los. Zuerst faehrt man uns zu einem Haus, wo sich saemtliche Tour-Touristen versammeln, um sich umzuziehen. Wir erhalten Hosen, Plastikjacke und einen Helm mit Licht. Fuer 10 Bolivianos (10/7 Franken) erhalten wir auch ein Cowboy-Taschentuch, das unsere Atemwege vor dem Minenstaub schuetzen soll.
Anschliessend fahren wir per Buesschen zum legendaeren Minenarbeiter-Markt - wohl einem der wenigen Orte dieser Welt, an denen man Dynamit lizenzlos erstehen kann - etwa vier Franken inkl. Zuendschnur und explosionsverstaerkendem Material.
Wie es sich fuer Touris gehoert, kaufen wir Dynamit, Cocablaetter und Limonade ein - Geschenke fuer die Minenarbeiter, die wenn´s gut kommt rund 300 Franken pro Monat verdienen - fuer 10 Stunden schuften pro Tag, sechs Tage die Woche, das ganze Jahr hindurch.
Unser Guide erzaehlt uns, wie er mit 14 Jahren in der Mine zu arbeiten begann. Sein Vater hatte ihn eines Tages mitgenommen und gesagt, er sei nun "Minero". Manche ereilt dieses Schicksal bereits einige Jahre frueher. Der Guide selbst ist ein untypischer Minero. Er arbeitet heute, mit dreissig Jahren, nur einige Monate pro Jahr in der Mine. Waehrend der restlichen Zeit ist er Guide. Er hat sich selbst Englisch beigebracht bzw. laut eigenen Angaben von den Touristen gelernt. Der Wille, aus dem Minenarbeiterleben auszubrechen, ist ihm jede Sekunde anzumerken. Er berichtet davon, dass die Arbeiter oft sechs, sieben Kinder haben. Selbst hat er zwei - mehr will er auch nicht.
Waehrend seinen interessanten Monologen spuere ich eine Verbitterung bezueglich der Ungleichheit in dieser Welt. Er weist uns auch immer wieder auf die Unterschiede zwischen unserem luxurioesen Tourileben und dem Dasein als Minenarbeiter in Potosí hin. Fuer einen Guide ungewoehnlich kritisch gegenueber seinen Kunden, aber ich kann ihn gut verstehen.
Nach dem Markt fahren wir zu einer Fabrik, wo mit Chemikalien Mineralien aus dem Gestein extrahiert wird. Gemaess unserem Guide fliesst ein Grossteil der Chemikalien ungefiltert in die Umwelt. Er erklaert dies mit einer unueberhoerbaren Verachtung vor den Zustaenden in seiner Heimat.
Nachdem wir den Fabrikarbeitern einige Hampfeln Cocablaetter verteilt haben (saemtliche Fabrik- und Minenarbeiter haben eine dicke Backe, denn dort befindet sich waehrend des ganzen Tages ein Ballen Coca - dieser soll den Hunger unterdruecken und aufpeitschen) fahren wir zur Mine hoch. Dort angekommen ziehen wir das Taschentuch vor´s Gesicht, sehen aus wie Terroristen (mit dem Dynamit in der Hand), dann geht´s los.
Zum Teil muessen wir gebueckt gehen, manche Stellen sind hoch genug fuer den aufrechten Gang. Diese Oertlichkeit ist zweifellos der reinste Horror fuer Klaustrophoben. Die Luft ist geschwaengert mit Schwallen von Staubpartikeln, die im Strahl der Helmlampe herumwirbeln.
Schon waehrend wir durch die Stollen laufen merke ich, wie sehr Aktivitaeten auf ueber 4000 Metern Hoehe meinen Koerper herausfordern. Ich atme schwer, auf dem Taschentuch sammelt sich der Staub, dem der Zugang zu meinen Atemwegen verwehrt bleibt. Eine Mischung aus Steinstaub und angeblich auch Stoffen wie Asbest. Langzeitfolgen ahoy. Allerdings begegnen wir Minenarbeitern, die hier seit ueber dreissig Jahren arbeiten - ohne Staubschutz vor dem Gesicht. Kein Wunder liegt die Lebenserwartung eines Minenarbeiters irgendwo um die vierzig Jahre.
In einer Nebenhoehle des Stollens befindet sich ein kleines Museum, in dem sich Chroniken ueber die Minen Boliviens befinden. Auf einem Stuhl sitzt "Tio", der Teufel (mit Hoernern, roten Augen und einem riesigen Penis als hervorstechende Merkmale), dem Schutzpatron der Minenarbeiter. Einmal pro Woche versammeln sich die Arbeiter, um mit El Tio (span. der Onkel) anzustossen. El Tio hat uebrigens ein Kind mit der Erdmutter: Die Silberader.
Die Chroniken berichten ueber das Schicksal der Minenarbeiter. In den letzten fuenfzig Jahre hat es zahlreiche Massaker an den Arbeitern gegeben, die fuer eine geringe Lohnerhoehung auf die Strasse gegangen waren. Was fuer eine Leidgeplagte Zunft!
Nach einer halben Stunde im Stollenmuseum marschieren wir weiter in den Stollen hinein. Immer wieder machen wir kurz halt, um unseren strapazierten Koerpern eine Pause zu goennen. Dann steigen und kriechen wir in tiefere Minenstockwerke und kreuzen Mineros, die einen Karren voller Gestein durch die Stollen schieben. Sie bringen sie zu ihren Kollegen, die die Ladung in Saecke schaufeln, die hochgezogen werden. Wir versorgen die Kumpel (zwischen zwoelf und vierzig Jahre alt) mit Cocablaettern. An den mit schwarzem Saft bedeckten Lippen der Arbeiter erkennt man, dass sie schon seit Stunden Cocablaetter kauen. Mahlzeiten gibt´s waehrend der Arbeit uebrigens keine. Erst gegen sechs, sieben Uhr, wenn die Mineros den Arbeitsplatz verlassen, erwarten ihre Frauen sie mit dem Abendessen.
Noch tiefer in der Mine arbeiten die Sprengmeister, die kleine Gaenge in das steinharte Gestein hauen, um dort die Dynamitstangen zu platzieren. Wir uebergeben ihnen die Dynamitstangen und machen uns dann aus dem Staub. Es ist uebrigens sehr heiss hier in den Minen, der Schweiss perlt auf meiner Stirn.
Das Heraufklettern ist dermassen anstrengend, dass ich zwischendurch das Taschentuch beiseite schieben muss, um genug Luft zu bekommen, auch wenn der Staub nun ungehindert eindringen kann. Den anderen Besuchern geht es genauso.
Ich bin nicht unfroh, als wir den Ausgang erreichen. Unvorstellbar, ein Leben mit der Perspektive, hier die naechsten dreissig, vierzig Jahre schuften zu muessen!
Nach einer kleinen Dynamitdemonstration faehrt man uns zurueck zum Haus, wo wir unsere deponierte Bekleidung in Empfang nehmen.
Zurueck im Zentrum von Potosí setzen wir uns fuer ein "Almuerzo" (Z Mittag) in eine Wirtschaft, wo wir eine Gemuesesuppe, Poulet, Reis und Kartoffeln verspeisen. Dann begebe ich mich zum Busterminal, um eine Fahrt nach Villazon in Richtung Argentinien zu kaufen. Der Schalter der besseren Busfirma ist gerade unbesetzt. Ich frage nach. Die Frau am benachbarten Verkaufsstand meint, die Frau sei gerade auf der Toilette. Nach fuenf Minuten frage ich bei der Information nach. Dort sagt man mir, die besagte Dame befinde sich im Mittag. Tja, dann kaufe ich halt ein Ticket bei einer anderen Busfirma.
Wie verabredet treffe ich mich mit Flo und Steffi beim Muenzenmuseum. Die Tour hat bereits begonnen. Nachdem ich erklaert habe, dass ich unfreiwillig beim Busterminal warten musste, laesst man mich doch noch zur Tour zu. Die Fuehrung ist sehr ausgebreitet und dauert zwei Stunden. Potosí war einst der Ausgangspunkt fuer die Silberausbeutung durch die Spanier und somit auch das Zentrum der Muenzpraegung. Die riesigen, antiquierten Maschinen aus Holz (die von Tieren und Menschen angetrieben wurden) zeugen von der frueheren Bedeutung Potosís.
Anschliessend treffen wir auf Laura. Wir setzen uns in ein Cafe und lernen dort zwei Schweizer anfangs dreissig kennen, Christian und Stefan. Bald darauf verabschiedet Laura sich in Richtung Busterminal. Wir fuenf Schweizer widmen uns der Jass-Adaption "Molotov". Wie sich herausstellt, fahren Stefan und Christian heute mit dem selben Bus nach Villazon.
Nach einer Pizza verabschiede ich mich von Florian und Steffi und hole mein Gepaeck. Die beiden bleiben eine weitere Nacht hier und lassen sich von Stefan und Christian ein guenstigeres Hostal zeigen.
Gegen halb acht treffe ich am Busterminal ein. Der Bus ist ok, die Fahrt in Richtung Argentinien kann beginnen.

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